Mein Seismograf für Sockengarn
Es ist nämlich so: Für mich sind die meisten selbstmusternden Garne, die am Markt sind, so etwas wie Design-Unfälle (oder ist das schon True Crime?). Leider werden sie tonnenweise produziert – die Fachmesse für Handarbeitszeug „h&h cologne“ ist flächendeckend zugepflastert mit solchem Sockengarn in schlimmen Farbkombis. Ein sicheres Zeichen dafür, dass es sich gut verkauft. Und wieso möchte ich dann als Händlerin nicht davon profitieren? Weil meine „Geschmacksknospen“ nicht mitmachen.
Ich frage mich jedes Jahr aufs Neue: Wie kann es passieren, dass von den Garnherstellern die Möglichkeiten dieser faszinierenden Technologie – einen 420 Meter langen Faden mit unterschiedlichen Farben zu bedrucken – derart missbraucht werden? Sitzen farbenblinde Menschen in den Design-Abteilungen der Garnverleger? Schütten Spaßvögel nach einem Losverfahren die Farben in die Druck-Maschine und lachen sich ins Fäustchen, das der Murks, der hinten rauskommt, mal wieder im Verkaufsregal statt in der Mülltonne landet? Man weiß es nicht.
Modesünden auf Knäuel gewickelt
Ich jedenfalls kann nicht darüber lachen, sondern empfinde es in 99 % der Garne dieser Machart als respektlos uns Stricker:innen, den Schafen und dem Material gegenüber. Als ob wir harmonische Farbkombis nicht verdient hätten – von der Ignoranz unserer modischen Bedürfnisse mal ganz abgesehen.
Da wird einfach gnadenlos ausgenutzt, dass wir sowieso alles kaufen und wegstricken, was easy-peasy bunte Socken verspricht oder als Knäuel lustig aussieht. Denn Fakt ist: selbstmusterndes Garn bringt echten Strickspaß: Man kann mühelos viele Farben in rechte Maschen verwandelt, ohne Colourwork zu können oder viele Fäden vernähen zu müssen. Einzeln betrachtet sind die farbigen Maschen dieser Garne ja auch recht hübsch. Aber als Verband? Als Socke? Igittigitt! Wie schön wäre doch die Welt, wenn die fertigen Socken dieselbe Freude auslösen würden wie das Stricken, also vorzeigbar wären und bei der Freundin, dem Schwiegersohn oder dem Enkelkind nicht ein gequältes „Danke!“, sondern echte Begeisterung auslösen würden?!
Ich jedenfalls würde solche Strümpfe, falls ich sie geschenkt bekäme (stricken kommt für mich fast nie infrage), nur in hohen Stiefeln tragen und beten, dass ich mir nicht den Knöchel breche und das bunte Grauen in der Notaufnahme zum Vorschein kommt. Meine Scham wäre maximal, denn für mich ist fast jedes selbstmusternde Sockengarn ein Fashion-Fauxpas, eine Modesünde erster Güte.
Noch mal zur Erinnerung: Das ist nur meine persönliche Meinung. Völlig unerheblich, falls du mit Wonne sämtliche selbstmusternde Garne strickst und dir die Socken daraus gefallen. Lass dir nicht von mir die Laune verderben, nur weil ich mich bei dieser Garnart als „Rosinen-Pickerin“ betätige und nur die Serien in unser Programm lasse, die MIR gefallen. Ich finde es nämlich grundsätzlich wunderbar, dass jede und jeder stricken kann, was Freude macht. Darum sorgen Handarbeiten für Glücksgefühle: Wir können genau das stricken, häkeln, sticken, nähen oder fädeln, was unser Herz höherschlagen lässt.
Ausnahmen bestätigen die Regel
Da Holger, mein Mann und Business-Partner, meinen Geschmack in Sachen selbstmusternder Garne kennt (und leidenschaftlich teilt), war er ziemlich baff, als ich auf der „h&h cologne“ auf die „Fjord-Socks“ von Pro Lana ansprang. Mein Seismograf hatte bei ihrem Anblick ausgeschlagen, und zwar in die positive Richtung. Mir gefielen auf Anhieb die Farbkombis und auch die Socken daraus, die endlich mal an Norwegermuster erinnern. Dennoch verkniff ich mir eine Spontan-Order. Was, wenn es nur eine „Übersprungshandlung“ auf der Messe war?! Was, wenn ich so viel schlimmes Garn in wenigen Stunden gesehen hatte, dass mein Design-Filter schlapp machte?! Ich lies ein paar Wochen vergehen. Nur die Ruhe!
Prüfung bestanden
Und so hatte ich die „Fjord Socks“ schon fast vergessen, als ich sie beim Durchblättern meiner Messe-Unterlagen wiederentdeckte und dasselbe positive Kribbeln im Bauch spürte wie beim ersten Mal. Da wusste ich, dass sie unbedingt in unseren Shop gehören.
Klassisches Sockengarn
Hier sind sie nun die 6 Farben der „Fjord Socks“. Ich habe jede Farbstellung als Mustersocke gestrickt, und zwar in Größe 40/41, weil ich sie tragen möchte – in Sneakern, nicht in hohen Stiefeln. Die 100-Gramm-Knäuel in klassischer Lauflänge von 420 m und strapazierfähigem Mix, 75 % Schurwolle und 25 % Polyamid kommen in harmonischen Farbkombis daher. Wenn die Socken unter einer Jeans hervorblitzen oder zu einem ansonsten ruhigen Look getragen werden, schaffen sie einen lässigen Twist im Outfit. Dass sie sich als Socken richtig gut am Fuß anfühlen, gehört zu den Basis-Bedingung für ihre Aufnahme in unser Garnsortiment. Auch diese Prüfung hat das Garn bestanden. In Zahlen: 5 Wölkchen auf meiner
Weichheits-Skala.
Fair-Isle für Angsthasen
Nein, die Anspielung auf „Angsthasen“ ist nicht despektierlich gemeint. Ich möchte nur allen Stricker:innen, die sich nicht an mehrfarbiges Stricken herantrauen, die frohe Botschaft verkünden: Strickt mit „Fjord Socks“ schöne Norwegermuster auf die entspannteste Art, die es gibt. Ein Faden, viele Farben, null Probleme. Die bunten Muster, die wie Fair-Isle aussehen, sind nicht nur schön, sondern wirken wie Camouflage für Anfängerfehler. Ein unregelmäßiges Strickbild oder kleine Patzer in Form von Löchern an der Ferse werden gut getarnt. Also ran an die Buletten, äh Knäuel, und stricke den Wow’s und Oh’s entgegen, die diese Socken selbst dann auslösen werden, wenn es deine allerersten Socken ever sein sollten.
Happy Knitting!